Perspektiven aus der
Rechtswissenschaft –
Gender im Recht
Auch wenn es weitgehend unbekannt ist und in schulischen Geschichtsbüchern kaum thematisiert wird: Frauenbewegungen stellen eine der bedeutendsten sozia-len Bewegungen der Geschichte dar. Auf die Gesellschaft wirkten ihre politischen Forderungen nach Anerkennung, Teilhabe und Gleichheit wie Modernisierungsmo-toren. Seit ihren Anfängen Mitte des 19. Jahrhunderts initiieren Frauenbewegun-gen, gleich einem Schrittmacher, sozialen Wandel und haben tiefgreifenden Ein-fluss auf die gesellschaftliche Entwicklung. Auch in den Lebensbedingungen, die wir heute vorfinden und die uns selbstverständlich erscheinen, wirken die hart er-kämpften Errungenschaften der Frauenbewegungen fort. Staatsbürgerliche Rechte von Frauen, ihre Partizipation an Bildung, Berufs- und Karrieremöglichkeiten sowie an politischer Gestaltungsmacht stellen das reiche Erbe der Frauenbewegungen dar. Die jüngere Welle der Frauenbewegungen re-politisiert Positionen und er-schließt sich neue Themen. Es geht um Ziele wie Lohngleichheit, die Repräsentanz von Frauen in den unterschiedlichen Gesellschaftsbereichen (Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Literatur, Film), sexuelle und reproduktive Rechte sowie vermeintlich biologische und damit kritische Identitätskonzepte, die angesichts ihrer normalisie-renden und exkludierenden Wirkung in Frage gestellt werden.
Welche Bedeutung hat das Recht auf das Geschlechterverhältnis? Das Recht stellt eine wirkmächtige Konstrukteurund Geschlechterordnung dar. Das gewandelte Frauen(selbst)verständnis hat nicht nur Recht verändert und zu zahlreichen Recht-sänderungen geführt. Bis heute prägen gesellschaftliche Veränderungen die Ent-wicklung von Recht – und Recht prägt wiederum gesellschaftliche Veränderung. Rechtssysteme konstituieren zwar einen abstrakt-dogmatischen Raum, der von so-zialen Kategorien wie Geschlecht oder Herkunft abgekoppelt zu sein scheint. Eine intersektional angelegte Perspektive auf Recht kann aber freilegen, dass Recht nicht nur der Gesetzestext ist, sondern durch eine Praxis hervorgebracht wird, die gesellschaftliche Machtverhältnisse entlang von Ungleichheitsachsen wie Ge-schlecht und Herkunft abbildet. In dieser Hydraulik spiegelt Recht einerseits Macht-strukturen zurück und hat als Regulierungsinstrument andererseits das Potential, Ungleichheiten abzubauen.
„Auf einen Kaffee mit Anja“
Transkription Video-Transkript
Die kleine Geschichte des Gleichstellungsrechts
Gesetzliche Meilensteine und dogmatische Entwicklungslinien im Recht der Geschlechtergleichstellung
Geschlechterbilder im Recht haben sich im Laufe der Geschichte, nicht zuletzt aufgrund des Wandels der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, stetig verändert.
Im Jahr 1958 verstand das Bundesverfassungsgericht unter Gleichberechtigung noch die Gleichwertigkeit von Männern und Frauen bei gleichzeitiger Anerkennung ihrer Andersartigkeit, die eine Ungleichheitsbehandlung rechtfertigen konnten.
Rund zehn Jahre später betonte das Bundesverfassungsgericht bereits die Rechtsgleichheit von Frauen und Männern unter grundsätzlicher Abkehr von geschlechtsspezifischen Rollenzuschreibungen. Allerdings wurden funktional-arbeitsteilige Unterschiede der Geschlechter als Rechtfertigung einer Benachteiligung von Frauen erst 1992 explizit aufgegeben und die Verfestigung tradierter Rollenverteilungen für verfassungswidrig erklärt.
Die Gründe für diese Kehrtwendung sind vor allem im gesellschaftlichen Wandel und im veränderten Selbstverständnis von Frauen zu sehen. Dies zeigt eindrucksvoll, dass Recht und Rechtsprechung keine starren und unveränderbaren Gebilde sind. Recht ist veränderbar und muss sich gesellschaftlichen Entwicklungen anpassen.
Zugleich zeigt sich die Fragilität des Rechts: Hart erkämpfte Errungenschaften des Gleichstellungsrechts sind nicht in Stein gemeißelt. Das heißt, die Bemühungen um Geschlechtergleichstellung dürfen keinesfalls pausieren und müssen durch fortwährende Gleichstellungsaktivitäten ausgebaut und stabilisiert werden.
Diese kleine Geschichte des Gleichstellungsrechts will schlaglichtartig wichtige Meilensteine und Errungenschaften des Gleichstellungsrechts darstellen. Das darf jedoch nicht darüber hinweg täuschen, dass es auch viele kleine gesetzliche Anpassungen sind, die zum Status quo der Gleichstellung maßgeblich beigetragen haben. Gerade im Feld von Gleichstellung und Antidiskriminierung liegt häufig im Kleinen das Große, um Barrieren abzubauen und die Egalität der Geschlechter zu fördern.
Die SPD Politikerin Elisabeth Selbert war eine der vier Mütter des Grundgesetzes. Der ursprüngliche Entwurf des Art. 3 Abs. 2 GG sah lediglich vor, dass Männer und Frauen dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten haben sollen. Dieser Entwurf ging ihr jedoch nicht weit genug. Gestärkt aus den Nachkriegsjahren, in denen Frauen die Hauptlast des Wiederaufbaus trugen, besteht Selbert auf eine uneingeschränkte Gleichberechtigung. Wohlweislich, dass sich daraus umfangreiche Veränderungen im Bürgerlichen Gesetzbuch, insbesondere dem Familienrecht, ergeben würden. Hierfür bekam sie nicht nur aus den eigenen politischen Reihen Gegenwind, sondern auch von den anderen Müttern des Grundgesetzes. Nach umfangreichen Protesten wurde dem Antrag letztlich stattgegeben, sodass am 23. Mai 1949 zumindest formale Gleichstellung hergestellt wird.
1. Juli 1958
Das erste Gleichberechtigungsgesetz tritt in Kraft
Ziel dieses Gesetzes ist es, die im GG von 1949 festgeschriebene Gleichberechtigung von Frauen und Männern im Familienrecht umzusetzen.
Dieses war bis 1958 stark von einem patriarchalischen Ehe- und Familienverständnis geprägt: Der Ehemann war das Oberhaupt und der Ernährer der Familie, dem das Recht zustand, in allen ehelichen und familiären Angelegenheiten in letzter Instanz zu entscheiden. Die Ehefrau war gesetzlich verpflichtet, den Haushalt zu führen und die Rolle der emotionalen Versorgerin der Familie einzunehmen. Einer beruflichen Tätigkeit konnte sie nur nachgehen, wenn diese mit ihren ehelichen und familiären Pflichten vereinbar war.
Das Gleichberechtigungsgesetz schafft unter anderem das Kündigungsrecht des Ehemannes ab und änderte auch das eheliche Güterrecht.
7. Juni 1973
Reform des Sexualstrafrechts
Am 7. Juni 1973 verabschiedete der Deutsche Bundestag ein neues Sexualstrafrecht.
Die Überschrift des 13. Abschnitts im Besonderen Teil wurde von „Verbrechen und Vergehen wider die Sittlichkeit“ in „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung“ umbenannt. Hierbei handelte es sich nicht nur um eine sprachliche Spielart, sondern um einen Paradigmenwechsel im Sexualstrafrecht, da das Schutzgut damit grundlegend verändert wurde. Es wurden von nun an nicht mehr gesellschaftliche Moralvorstellungen geschützt, sondern das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung des Individuums als Ausdruck des Allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG.
1. Juli 1976
„Große“ Ehe- und Scheidungsrechtsreform
Das BGB nimmt im Juli 1976 Abschied von dem Leitbild der „Hausfrauenehe“ und verzichtet auf die Vorgabe von Ehemodellen.
Bei der Eheschließung kann nun auf Wunsch der Name der Frau gemeinsamer Familienname werden. Zusätzlich wird im Ehescheidungsrecht das Schuldprinzip zugunsten des Zerrüttungsprinzips aufgegeben.
Der Versorgungsausgleich wird eingeführt und soll die soziale Sicherung der geschiedenen nichterwerbstätigen Frau und Mutter sicherstellen.
1987
Schaffung eines Frauenministeriums
Erstmals erhielt die Bundesregierung ein eigenes Frauenministerium. Als Bundesministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit wurden Rita Süssmuth zusätzliche Kompetenzen zugesprochen und eine eigene Abteilung für Frauenfragen eingerichtet. Neu war dabei vor allem eines: Frauenpolitik wurde aus der Familienpolitik herausgelöst und zu einem eigenständigen Handlungsfeld des Ministeriums.
Es verwirft für die Gegenwart und Zukunft die alte Formel, dass traditionelle „funktionale“ Unterschiede unterschiedliche Rechtsregelungen rechtfertigen können.
Seitdem sind nur noch unterschiedliche Regelungen für Männer und Frauen gerechtfertigt, wenn sie zwingend wegen biologisch-medizinischer Verschiedenheit von Frauen und Männern existieren.
27. Oktober 1994
Das Gleichberechtigungsgebot in Artikel 3 Abs. 2 GG wird ergänzt
Artikel 3 Abs. 2 GG wird um folgenden Satz erweitert:
"Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin."
Damit wird die Gleichstellung von Männern und Frauen als Staatsziel in der Verfassung verankert. Es handelt sich um ein aktives staatliches Förderungsgebot, welches Ungleichbehandlungen zugunsten von Frauen rechtfertigen kann.
1. Juli 1997
§ 177 StGB tritt in Kraft
Der Deutsche Bundestag beschließt am 15. Mai 1997 die Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe zu stellen.
Als Vergewaltiger bestraft wurde in der Bundesrepublik nur, wer sein Opfer mit Gewalt zum „außerehelichen Beischlaf" zwang. Die Vergewaltigung in der Ehe war somit schon nicht tatbestandlich und konnte lediglich als Nötigung i. S. d. § 140 StGB strafrechtlich geahndet werden.
Kernelement des § 177 StGB ist die sexuelle Selbstbestimmung eines jeden Menschen unabhängig vom Familienstand.
30. November 2001
Gesetz zur Durchsetzung der Gleichstellung von Frauen und Männern (BGleiG)
Das Bundesgleichstellungsgesetz dient gemäß § 1 BGleiG u.a. der Gleichstellung von Männern und Frauen sowie der Beseitigung bestehender Diskriminierungen wegen des Geschlechts für alle Beschäftigten in der mittelbaren und unmittelbaren Bundesverwaltung sowie in Gerichten.
Das Gesetz soll zudem im Sinne des Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG Frauen fördern, um bestehende Benachteiligungen abzubauen.
Aus Frauenbeauftragten wurden Gleichstellungsbeauftragte, der Gleichstellungsplan ersetzte den Frauenförderplan.
Das AGG stattet Betroffene mit Schadensersatz- und Ersatzansprüchen sowie mit Unterlassungs- und Beseitigungsansprüchen aus. Es soll jedoch auch eine präventive Wirkung haben, sodass Benachteiligungen von vorneherein verhindert werden sollen.
Beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend wird eine Antidiskriminierungsstelle des Bundes eingerichtet , die in Fällen von tatsächlicher oder vermeintlicher Diskriminierung die Betroffenen berät.
1. Mai 2015
Das FüPoG tritt in Kraft
Das Erste Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst tritt im Mai 2015 in Kraft. 30 % der Aufsichtsratsplätze von großen börsennotierten und mitbestimmungspflichtigen Unternehmen müssen von nun an mit Frauen besetzt werden.
Bereits 2017 wird sie erreicht und lag zuletzt bei 35,2 Prozent.
1. Februar 2018
Istanbul-Konvention tritt in Kraft
Die „Konvention des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“ (kurz: Istanbul-Konvention) ist ein völkerrechtlicher Vertrag, der in Deutschland am 1. Februar 2018 in Kraft trat.
Mit Inkrafttreten verpflichtet sich Deutschland, Gewalt gegen Frauen zu bekämpfen und zu verhindern sowie Betroffenen Schutz und Unterstützung zu bieten.
2021
Kabinett beschließt FüPoG II
Das Kabinett beschließt einen Gesetzesentwurf über eine Frauenquote für Vorstände von börsennotierten und paritätisch mitbestimmten Unternehmen mit mehr als drei Mitgliedern. Das Gesetz sieht vor, dass hier mindestens ein Vorstandsposten mit einer Frau besetzt werden muss. Für Unternehmen mit einer Mehrheitsbeteiligung soll bereits bei mehr als zwei Mitgliedern in der Geschäftsführung mindestens eine Frau sein.
Bisher hatten sich diese nur eine freiwillige Frauenquote auferlegt, die jedoch erfolglos war. Die Frauenquote liegt bisher bei nur etwa 13 Prozent.