Ein Mensch zeigt mir dem Zeigefinger auf eine Tafel mit mathematischen Formeln Foto: ([Peachaya Tanomsup / EyeEm/EyeEm]/Getty Images)

Perspektiven aus der Mathematik und Informatik

Vielfalt fördern, Durchlässigkeit schaffen

„Männer sind von Natur aus besser in Mathematik als Frauen!“ Geschlechterstereotype im Bereich Naturwissenschaften bestehen in der Gesellschaft schon seit langer Zeit. Das führt dazu, dass Geschlechtervielfalt und der Fachbereich Mathematik und Informatik sich zu widersprechen scheinen. Es gibt mittlerweile jedoch mehrere Initiativen, um zu zeigen, dass dem nicht so ist und um mehr Frauen für MINT-Fächer zu begeistern. Allerdings ist es nicht nur von Bedeutung festzustellen, ob Frauen in der Fakultät für Mathematik und Informatik unterrepräsentiert sind und in welchen Anteilen. Vielmehr ergeben sich daraus Folgefragen, die erörtert werden müssen.  

Wie kann eine Veränderung der Geschlechteranteile erreicht werden? Worin liegen die Ursachen für die geringe Repräsentation verschiedener Geschlechter und wie erhöht man die Attraktivität des Bereichs? 

Diesen und weiteren Fragen widmen sich Kirsten Pinkvoss, Prof. Dr. Jörg Desel und Prof.in Dr.in Juliane Siegeris in ihrem Interview.  

Quelle: FernUniversität in Hagen

Transkription Video-Transkript


Eine weitere Möglichkeit die Attraktivität des Fachbereichs Mathematik und Informatik zu steigern, ist flüssigere Übergänge im Weiterbildungsprozess zu schaffen. Denn auch so kann es Frauen erleichtert werden, ihrem Karrierewunsch im Bereich MINT zu verfolgen. Das Pilotprojekt „Durchlässigkeit“, welches im Rahmen des Forschungsschwerpunktes „Digitalisierung, Diversität und Lebenslanges Lernen Konsequenzen für die Hochschulbildung” (D²L²) durchgeführt wird, hat das Ziel, die Durchlässigkeit von beruflicher Ausbildung (inkl. Berufstätigkeit) zum Universitätsstudium an der FernUniversität zu fördern durch die gezielte Berücksichtigung bereits vorhandener Kompetenzen. Dies erfolgt sowohl bezogen auf die Anrechnung von Kompetenzen als auch durch veränderte didaktisch-methodische Zugänge. In einem Video werden sowohl die Beteiligten als auch die Inhalte des Projekts vorgestellt.

Quelle: FernUniversität in Hagen

Video-Transkript Video-Transkript


An welchem Zeitpunkt im Bildungsverlauf knüpft das Projekt an? Wie sieht die Umsetzung der Förderung aus? Wie werden Qualifikationen aus beruflichen Ausbildungen in das Hochschulstudium miteinbezogen? Antworten auf diese Fragen und weitere geben die Beteiligten des Pilotprojekts in dem anschaulichen Video.


Quelle: FernUniversität in Hagen

Video-Transkript Video-Transkript

Frauen sind nicht nur in Prozentanteilen unterrepräsentiert. An einer Sichtbarkeit in der gesprochenen und ge-schriebenen Sprache fehlt es Ihnen auch. Folge dessen ist, dass sowohl eigene als auch gesamtgesellschaftliche Stereotype und Ungleichheiten durch Sprache kommuniziert werden.

Sprache macht sichtbar. Sichtbarkeit führt dazu, dass Personen sich angesprochen, wahrgenommen und wertgeschätzt fühlen. Diese Bedeutung erkennt auch die deutsche Gesetzgebung an: § 4 S. 2 LGG NRW "In der internen wie externen dienstlichen Kommunikation ist die sprachliche Gleichbehandlung von Frauen und Männern zu beachten".

Es gilt aber Sprache als ein wandelbares Medium zu betrachten. Ihre Vielfältigkeit hat zur Folge, dass sie individuell gestaltet werden kann. Leitender Gedanke sollte sein, alle Geschlechter zu berücksichtigen. Dies gilt auch im Hochschulalltag. Drei Angehörige der Fakultät Mathematik und Informatik haben sich in Form von Statements zu dem Thema Sprache in ihrem Fachbereich geäußert.

Symbolbild: Im Kinderzimmer fliegen Buchstaben umher Foto: ([Catherine Falls Commercial/Moment]/Getty Images)

Die Verwendung von Sprachformen
bestimmt auch deren Inhalt

Ein Statement von

In der Debatte um gendergerechte Schreibweisen von personenbezogenen Wörtern gibt es viele Vorschläge, und ich muss als Professor und Autor spätestens hier Farbe bekennen und mir überlegen, wie ich es in Kurstexten mit Sprache und Gender halte. Einerseits bin ich als Professor und Mitglied einer staatlichen Universität aufgefordert, bezüglich Sprache die Vorgaben aus Politik und Hochschulleitung zu befolgen. Diese sind aber leider nicht eindeutig und machen teilweise Vorschläge, die ich einfach nur falsch finde (wie die Verwendung von „Studierende“ auch für gerade nicht studierende Studenten und Studentinnen). Andererseits unterliegt gerade ein Kurstext – als Analogon zu einer Vorlesung – der zu Recht gesetzlich verbrieften Freiheit von Lehre. Dies ist nicht nur Privileg, sondern auch Verpflichtung. Gerade als Professor kann ich nicht etwas verbreiten und mich zugleich davon distanzieren mit der Begründung, ich hätte dies ja sagen müssen. Die Verwendung von Sprachformen bestimmt auch deren Inhalt, jedenfalls kann sie politisch relevant sein, und im Falle der Berücksichtigung von Genderformen ist sie dies gewiss.

Ich habe zu diesem Thema das lesenswerte Buch Die Teufelin steckt im Detail- zur Debatte um Gender und Sprache (herausgegeben von André Meinunger und Antje Baumann, erschienen 2017 im Kulturverlag Kadmos) studiert, in dem 14 Fachleute ein Plädoyer für den jeweils von ihnen favorisierten Umgang mit Sprache darstellen. Am meisten überzeugt hat mich die Argumentation der Linguistin Heide Wegener in ihrem Artikel „Grenzen gegenderter Sprache – warum das generische Maskulinum fortbestehen wird, allgemein und insbesondere im Deutschen“. Die Zielrichtung wird schon durch den Titel deutlich.

Der Wunsch der Sichtbarkeit von (manchen) Frauen in allen Bereichen durch Abkehr von generischen Formen führt dazu, dass jede(r) Lesende sich nur angesprochen fühlen kann, wenn er/sie zuvor die Frage klärt, ob er/sie denn nun als Mann oder als Frau angesprochen wird, auch wenn diese Frage mit dem gelesenen Text rein gar nichts zu tun hat. In jüngerer Zeit wird aber zu Recht gerade dies kritisiert; Menschen, die weder von außen geschlechtsbezogen verortet werden wollen noch selbst gerade jetzt diese Entscheidung treffen wollen, fühlen sich nur durch generische Formen angesprochen. Dem zuweilen vorgetragenen Versuch, diese generischen Formen durch einen Unterstrich oder ein Sternchen wieder einzuführen, kann ich nichts abgewinnen, spätestens beim Sprechen entsprechender Texte scheitert er. Das abgesetzte „innen“ hört sich an wie das generische Femininum, das auch nicht besser ist als das generische Maskulinum, nur umständlicher und für alle gewöhnungsbedürftiger.

Leider wurde das Sprachproblem nicht von Beginn an so angegangen, dass man das bisherige generische Maskulinum als geschlechtslose generische Form propagiert hat; dann hätten halt die Männer keine eigene Form mehr – verschmerzbar. Die aktuell vorherrschende Mischung aus verschiedenen Formen, auch innerhalb eines Textes, führt im schlechtesten Fall dazu, dass manche Frauen tatsächlich meinen, bei der generischen Form nicht gemeint zu sein. Die Situation hat sich also noch verschlechtert, und ich sehe keinen Ausweg aus diesem Dilemma.

In meinem Kurstext zu Web-Programmierung kommen sehr viele personenbezogene Nomen vor und eine Umformulierung hätte die Lesbarkeit und die Präzision erheblich reduziert. Es geht ja nicht nur um die Ansprache der Leserinnen und Leser, sondern auch um allerlei Rollen beim Software-Entwurf. In der Not und ohne rechte Überzeugung habe ich mich auf generische Formen wie folgt beschränkt: Ich verwende im Singular ausschließlich das generische Femininum (also „die Anwenderin“) und im Plural ausschließlich das generische Maskulinum (also „die Anwender“). Somit gibt es nur noch den einen Artikel „die“, was die Lesbarkeit nicht gerade steigert. Trotz vieler hundert Teilnehmer habe ich nicht eine Reaktion auf diese Sprachform erhalten, weder positiv noch negativ. Vielleicht wird das Interesse unserer Studenten und Studentinnen an der verwendeten Sprachform überschätzt.

Prof. Dr. Jörg Desel, Fakultät für Mathematik und Informatik
Menschen halten sich verschiedene geometrische Objekte vor das Gesicht. Foto: ([filadendron/E+]/Getty Images)

Über die systematische Erzeugung verschiedener Varianten eines Texts muss man sich Gedanken machen

Ein Statement von

Genderisierung eines Texts lässt sich als Spezialfall seiner Adaptation an verschiedene Gruppen auffassen. Will man nicht bei der Geschlechtsspezifität stehenbleiben, kommt man nicht umhin, sich um die systematische Erzeugung verschiedener Varianten eines Texts Gedanken zu machen. Wie eine solche Variantenerzeugung in die Produktionsstrecke von konventionellen Kurstexten eingebettet werden kann, lässt sich am Beispiel von dreien meiner Kurse, darunter „Einsen und Nullen: Grundlagen der Digitalisierung“ (im freien Zugriff), nachvollziehen. Für eine vollständige Umsetzung fehlt allerdings noch die Möglichkeit, eine Variante zu belegen und zu beziehen; so wird derzeit ausschließlich die weibliche Version gedruckt und verschickt.

Prof. Dr. Friedrich Steimann, Fakultät für Mathematik und Informatik
Menschen im Seminarraum. Foto: ([Tom Werner/DigitalVision]/Getty Images)

Wir können auf die Unterscheidung zwischen Mengen und Klassen zurückgreifen

Ein Statement von

Was ist adäquate Sprache? Für mich in erster Linie verständliche Sprache. Und wenn wir uns – wie in FernUni-Zusammenhängen – überwiegend in schriftsprachlichen Kontexten bewegen, dann ist verständliche Sprache auch lesbare Sprache. Während sich bei Plural-Konstruktionen Lesbarkeit und Genderberücksichtigung vielleicht noch gut zusammenbringen lassen: „die Autorinnen und Autoren beschreiben“ liest sich auch nicht schlechter als „die Autoren beschreiben“, wird doch spätestens bei Konstruktionen wie „jeder/jede, der/die der Meinung ist, dass …“ jeder Textfluss zerstört.

Die sicherlich lesbarsten Varianten sind die durchgängige Verwendung des generischen Maskulinum in einem Text oder alternativ die durchgängige Verwendung des generischen Femininum. Finde ich – als Frau – es richtig, wenn Texte nur die männliche Form verwenden? Fühle ich mich trotzdem angesprochen? Ja. Genauso wird es Männer geben, die absolut kein Problem damit haben, wenn nur die weibliche Form verwendet wird. Wäre damit alles gesagt? Soll ich mich bei der Erstellung von Texten einfach nur nach meinen eigenen Vorstellungen richten? Ich fürchte, so einfach ist es leider nicht.

Denn wenn ich an der FernUni Texte schreibe – in erster Linie Kursmaterialien – dann ist es mein Anspruch, diese Texte zielgruppengerecht zu gestalten. Und dann sollte ich nicht nur den Studiengang, die Informatik-Vorkenntnisse, die Berufserfahrung und ähnliche Aspekte meiner Studentinnen und Studenten berücksichtigen, sondern auch ihre Empfindungen bezüglich der verwendeten Sprache. Wie in anderen Bereichen – der einen arbeite ich zuviel mit Beispielen, dem anderen zu wenig – ist meine Zielgruppe auch in ihren Vorstellungen zu gendergerechter Sprache sicher sehr heterogen. Kann ich also nur verlieren? Vermutlich! Doch ich kann es immerhin versuchen. Und die Sprachvariante, die wir in der Neufassung eines Kurstextes zum Thema Softwareengineering aktuell wählen, ist ein solcher Versuch – mit Betonung auf Versuch – lesbare und genderberücksichtigende Sprache zusammen zu bringen.

Während in der Informatik die Verwendung des Sternchens für Genderberücksichtigung durchaus Irritationen auslösen kann, da das Sternchen in verschiedenen Informatikbereichen unterschiedliche inhaltliche Bedeutungen hat, haben wir den Vorteil, dass wir auf die Unterscheidung zwischen Mengen und Klassen zurückgreifen können.

Eine Menge bilden zum Beispiel die Studentinnen und Studenten des Kurses Softwareengineering im Wintersemester 2020, eine andere Menge die Autorinnen und Autoren, die Lehrbücher zum Softwareengineering verfasst haben. Wenn wir im Kurstext über Mengen oder einzelne Elemente dieser Mengen sprechen – bzw. schreiben –, verwenden wir weibliche und männliche Formen nebeneinander. Und das eben auch dann, wenn wir die Leserinnen und Leser des Kurstextes direkt ansprechen: „Sie als Leserin oder Leser dieses Textes“.

Zum Konzept der Klasse in der Informatik gehört, dass diese von den konkreten Ausprägungen von Eigenschaften ihrer Elemente abstrahiert. Übertragen wir dieses Prinzip auf die hier geführte Sprachdiskussion, so bedeutet es, dass wir immer dann, wenn wir im Kurstext Klassen meinen, von der jeweiligen Geschlechtszuordnung ihrer Elemente abstrahieren und nur das generische Maskulinum verwenden. So geht es zum Beispiel in dem Satz „Im Softwareengineering stoßen die Vorstellungen von Theoretikern und Praktikern häufig aufeinander“ um die Klasse Theoretiker (bzw. Praktiker) und nicht um die jeweiligen Mengen mit konkreten Theoretikerinnen und Theoretikern (bzw. Praktikerinnen und Praktikern). Genauso werden die berühmten Parkplätze für (die Menge der) Lehrerinnen und Lehrer als zusammengesetztes Wort zu Lehrerparkplätzen und nicht zu LehrerInnenparkplätzen, da in der Zusammensetzung die Klasse Lehrer (zum Beispiel im Unterschied zur Klasse Schüler) und nicht die Menge adressiert wird.

Aufmerksamen Leserinnen und Lesern dieses Beitrags wird natürlich nicht entgangen sein, dass man/frau statt des generischen Maskulinum im Klassen-Kontext auch das generische Femininum verwenden könnte. Ja, das ist so! Die Fürs und Widers dieser Alternativen bilden Diskussionsstoff für spätere Gelegenheiten.

Maren Stephan, wissenschaftliche Mitarbeiterin Fakultät für Mathe und Informatik